Wenn es ums Klima geht, ist schnell die Rede vom sogenannten 1,5-Grad-Ziel. Auch die Klimalisten haben sich die 1,5-Grad zum obersten Ziel gesetzt. Doch was ist damit eigentlich gemeint? Und warum gerade diese Zahl?
Wer sich auf das 1,5-Grad-Ziel (oder besser gesagt: Limit) beruft, fordert, dass sich die Durchschnittstemperatur weltweit nicht mehr als 1,5 Grad erwärmen soll – im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter. Damit meinen die Wissenschaftler*innen die Zeit zwischen 1850 und 1900, bevor – getrieben durch die Industrialisierung – fossile Brennstoffe in großem Maßstab genutzt wurden. Diese Treibhausgase, von denen Kohlenstoffdioxid (CO2) das bekannteste ist1, sorgen dafür, dass sich die Erde stetig erwärmt.
Aus politischer Sicht stellt das 1,5-Grad-Ziel das Ergebnis bzw. den Kompromiss dar, auf den sich (fast) alle Länder2 bei Klimaverhandlungen in Paris 2015 nach langem Ringen einigen konnten. Schließlich stimmte eine überdeutliche Mehrheit für das Pariser Klimaabkommen. Dieses gilt seitdem als wichtigster Bezugspunkt für Klimaaktivist*innen, etwa von Fridays for Future. Sie erinnern die Politik daran, sich an das in diesem Vertrag vereinbarte Ziel zu halten. Denn das Abkommen ist die erste umfassende und rechtsverbindliche weltweite Klimaschutzvereinbarung. Darin verpflichten sich die Unterzeichner, „den Anstieg der durchschnittlichen Erdtemperatur deutlich unter 2 °C über dem vorindustriellen Niveau zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen.“ Allerdings ist darin nicht geregelt, wie die Länder das Ziel erreichen wollen.
Wie sieht eine 1,5 Grad wärmere Erde aus?
Die wissenschaftliche Begründung für das 1,5-Grad-Ziel liefern die Berichte des IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), das auch Weltklimarat genannt wird. Dieses Gremium versammelt die geballte Expertise der weltweiten Klimawissenschaft: An den Berichten arbeiten zahlreiche weltweit führende Klimawissenschaftler*innen zusammen. Sie zeigen mit ihren Forschungen zum einen, wie stark sich die Erde bislang erhitzt hat und modellieren zum zweiten, welche gravierenden Folgen der Klimawandel mit sich bringt: Auf einem 1,5 Grad wärmeren Planeten werden Hitzewellen, Fluten und Dürren zunehmen. Der Meeresspiegel wird steigen, einige Inselstaaten drohen unterzugehen. Viele Tierarten werden aussterben, Menschen werden durch extreme Wetterereignisse oder Hungerkatastrophen zur Flucht gezwungen. „Jede weitere Erwärmung, besonders über 1,5 Grad hinaus, vergrößert die Gefahr lang anhaltender oder nicht mehr umkehrbarer Veränderungen wie etwa dem Verlust von Ökosystemen“, sagte der Kieler Klimaforscher Hans-Otto Pörtner, der an dem IPCC-Bericht 2018 mitgearbeitet hat.
Wer ist schuld?
In dieser Frage ist sich die Wissenschaft einig: Die Menschen sind schuld. 99,94 Prozent aller Studien zum Thema Klima kommen zu dem Ergebnis, dass der Mensch für die weltweit steigenden Temperaturen verantwortlich ist3. Seit der Industrialisierung hat die Menschheit große Mengen an schädlichen Treibhausgasen freigesetzt, die vorher zum Beispiel in Öl oder Kohle gebunden waren. Nun befinden sie sich in der Atmosphäre und heizen diese auf. Wesentlichen Anteil am Klimawandel haben in Deutschland der Energiesektor (38%), jeweils zu einem Fünftel Industrie (21%) und Verkehr (18%) sowie die Haushalte (10%) und die Landwirtschaft (7%)4.
Allerdings tragen nicht alle Menschen gleich viel zur Erderhitzung bei. Die reichen Industrienationen verschmutzen die Umwelt viel stärker als Länder des globalen Südens. Eine Studie der internationalen Hilfsorganisation Oxfam hat kürzlich gezeigt, dass das reichste Prozent der Weltbevölkerung allein für 15 Prozent der Treibhausgabe verantwortlich ist, die ärmere Hälfte dagegen nur für sieben Prozent5. Der ehemalige Leiter und Gründungsdirektor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung, Professor Hans Joachim Schellnhuber spricht daher von der „Klimaschuld der Milliardäre“: „Je größer das Vermögen, desto größer die Klimaschuld einer Familie, das ist einfach so.“ Er fordert eine Klima-Erbschaftsteuer, zum Beispiel von 20 Prozent auf das oberste Prozent des Vermögens in Deutschland, um mit den Einnahmen klimafreundliche Projekte und Innovationen anzustoßen.
Ist das 1,5-Grad-Ziel überhaupt noch erreichbar?
Die Rechnung dazu ist simpel: Von dem weltweit gespeicherten Treibhausgasen darf nur noch eine gewisse Menge emittiert werden, nämlich maximal so viel, dass diese Gase das Klima um höchstens 1,5 Grad erwärmen. Der Weltklimarat hat die Menge bereits genau ausgerechnet: Ab 2018 dürfen weltweit nur noch 800 Milliarden Tonnen CO2 freigesetzt werden. Ab dann gilt: Es darf nur noch so viel CO2 freigesetzt werden, wie das Ökosystem Erde gleichzeitig speichern kann.
Deutschland hätte Prognosen zufolge zum Beispiel bis etwa 2035 sein Budget verbraucht und müsste ab dann klimaneutral sein6. Allerdings will Deutschland laut aktueller Gesetzeslage erst 2038 aus der Kohlekraft aussteigen – viel zu spät!
Bislang verfehlen die meisten Länder, die das Paris-Abkommen unterzeichnet haben, ihre Ziele7. Und selbst wenn alle Länder ihre bislang versprochenen Klimaschutzmaßnahmen einhalten würden, wäre es laut dem Weltklimarat zu wenig, um die Erderhitzung auf weniger als 1,5 Grad zu begrenzen. Stattdessen bewegt sich die Erde mit den derzeit versprochenen Maßnahmen auf eine drei bis fünf Grad wärmere Welt zu. Schon 2015 hat sich Erde weltweit um ein ganzes Grad erwärmt. In Deutschland ist es inzwischen sogar zwei Grad wärmer als vor etwa 200 Jahren8.
Dennoch gibt der IPCC-Bericht von 2018 ein wenig Hoffnung, dass wenn innerhalb der nächsten zehn(!) Jahre die richtigen Maßnahmen ergriffen werden, das 1,5-Grad-Ziel noch erreichbar ist. Gleichzeitig stellen die Forscher*innen unmissverständlich klar: „Die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen erfordert rasche, weitreichende und beispiellose Veränderungen in sämtlichen Bereichen der Gesellschaft.“
Das Vorwort zum IPCC-Bericht schließt mit dem eindringlichen Appell: „Every bit of warming matters, every year matters, every choice matters“ (Jedes Bisschen Erwärmung zählt, jedes Jahr zählt, jede Entscheidung zählt). Eine um 1,5 Grad wärmere Erde ist also kein erstrebenswertes Ziel, es ist die absolute Obergrenze, damit dieser Planet auch für die kommenden Generationen noch bewohnbar ist.
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1: CO2 macht 88 Prozent der Treibhausgasemissionen aus. Außerdem zählen dazu Methan, Lachgas und Fluorkohlenwasserstoffe. Zur besseren Vergleichbarkeit werden diese oft in sog. CO2-Äquivalente umgerechnet, um deren Klimaschädlichkeit zu messen.
2: Erst 2017 traten auch Syrien und Nicaragua dem Abkommen bei, im selben Jahr kündigte US-Präsident Donald Trump jedoch den Austritt der USA als dem Klimaschutzabkommen an, der 2020 in Kraft trat.
3: Bestätigt hat diese Zahl die Bundesregierung 2019 auf eine Anfrage der AfD, die Zweifel hatte, ob wirklich 97% aller Wissenschaftler den Menschen als Ursache für den Klimawandel ansehen. Und in der Tat: Die Bundesregierung musste die Zahl korrigieren – und zwar nach oben. (https://www.bundestag.de/presse/hib/655774-655774)
4: https://www.umweltbundesamt.de/daten/klima/treibhausgas-emissionen-in-deutschland
6: Unter den 10 klimaschädlichsten Unternehmen, die europaweit am meisten Treibhausgase ausstoßen, sind 8 Kohlekraftwerke, sieben davon stehen in Deutschland. (https://www.transportenvironment.org/news/ships-carrying-electronics-and-avocados-join-coal-plants-and-ryanair-top-10-emitters)
7: Laut einer Studie von 2018 halten bislang nur 16 Länder ihre Zusagen ein: Algerien, Äthiopien, Costa Rica, Guatemala, Indonesien, Japan, Kanada, Mazedonien, Malaysia, Montenegro, Norwegen, Papua-Neuguinea, Peru, Samoa, Singapur und Tonga. (https://www.euractiv.de/wp-content/uploads/sites/2/2018/10/Aligning-national-and-international-climate-targets.pdf)
8: https://www.spektrum.de/kolumne/deutschland-ist-schon-zwei-grad-waermer/1786148